Was ist Schwangerschaftsdiabetes und wie entsteht er?


Als Energielieferant ist Zucker wichtig für alle Körperaktivitäten. Damit er in die Zellen gelangt, benötigt Zucker das in der Bauchspeicheldrüse gebildete Hormon Insulin. Es ist eine Art „Schlüssel“, der den Zucker (Glukose) in die Körperzellen schleust, beispielsweise in die der Muskeln oder der Leber.

Insulin reguliert aber auch die Zuckermenge im Blut: Nachdem der Zucker in die Zellen transportiert wurde, nimmt der Zuckerwert im Blut wieder ab. Jedoch können Hormonveränderungen in der Schwangerschaft dazu führen, dass die Insulinproduktion nicht mehr richtig funktioniert, es zu einer Störung der Blutzuckerverarbeitung und somit zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel kommt.

Schwangerschaftsdiabetes, auch Gestationsdiabetes oder Diabetes Typ 4 genannt, ist die Folge. Fünf bis acht Prozent aller Schwangeren erhalten diese Diagnose1, meist ab der 24. Schwangerschaftswoche.2 Der Grund: Die Konzentration an Schwangerschaftshormonen wie Östrogene und Gestagene steigt mit der Dauer der Schwangerschaft an. Diese Hormone bilden den Gegenpart zum blutzuckersenkenden Insulin.

Ein Mehr an Schwangerschaftshormonen bedeutet somit einen höheren Bedarf an Insulin und Mehrarbeit für die Bauchspeicheldrüse, die die Insulinausschüttung ankurbelt und steigert. Zu Beginn der Schwangerschaft schafft es der Körper also noch, die Balance zur optimalen Zuckerverwertung zu halten. Doch irgendwann kommt die Bauchspeicheldrüse nicht mehr mit der Insulinproduktion hinterher.

Tückisch: Schwangerschaftsdiabetes meist ohne Symptome

In vielen Fällen bemerken Frauen nicht, dass sie an Diabetes Typ 4 erkrankt sind. Daher ist es wichtig, die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen beim Frauenarzt wahrzunehmen. Treten doch Beschwerden auf, äußern sich diese etwa mit einem starken Durstgefühl, häufigem Wasserlassen, ausgeprägter Müdigkeit oder Harnwegsinfekten.

Risikofaktoren


Grundsätzlich kann jede Frau erkranken, doch verstärkt neigen Schwangere zu Gestationsdiabetes, die

  • übergewichtig sind,
  • nahe Familienmitglieder mit Diabetes haben,
  • in einer vorangegangenen Schwangerschaft schon einmal an Gestationsdiabetes erkrankt sind,
  • die kontrainsulinäre (blutzuckersteigernde) Medikamente einnehmen müssen,
  • älter als 30 Jahre sind3,
  • wiederholt Fehlgeburten erlitten haben,
  • bereits ein Kind mit mehr als 4,5 Kilogramm Geburtsgewicht entbunden haben.

Festgestellt wird ein Diabetes Typ 4 mit einem Blutzuckertest. Dieser ist seit 2012 gesetzlich vorgeschrieben, wird von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen und findet zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche statt.5 Ist jedoch bekannt, dass die Frau zur Risikogruppe gehört, führt der Frauenarzt den Test bereits zwischen der 12. bis 16. Schwangerschaftswoche durch.6

So läuft das Screening ab

Die Schwangere trinkt ein süßes Getränk, bestehend aus 50 Milligramm Glukose und 200 Milligramm Wasser.7 Eine Stunde später wird ihr Blut abgenommen. Erreicht oder überschreitet der Blutzuckerwert 200 Milligramm/Deziliter, ist die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes gesichert.8

Bei einem Wert von 135 Milligramm/Deziliter oder höher folgt zeitnah eine weitere Untersuchung, der sogenannte orale Glukosetoleranztest (oGTT).7 Es ist wichtig, dass die werdende Mutter bei der Untersuchung nüchtern ist. Hier erfolgt die erste Blutabnahme, bevor sie eine 75 Milligramm Glukoselösung zu sich nimmt. Nach einer Stunde erfolgt die zweite, nach zwei Stunden die dritte Blutabnahme.9

Der Frauenarzt stellt die Diagnose Gestationsdiabetes dann, wenn mindestens ein Ergebnis folgende Werte erreicht beziehungsweise darüber liegt:

  • vor dem Test: 92 Milligramm/Deziliter
  • nach 60 Minuten: 180 Milligramm/Deziliter
  • nach 120 Minuten: 153 Milligramm/Deziliter8

Warum ein Gestationsdiabetes behandelt werden muss


Diabetes Typ 4 ist für die werdende Mutter und das Baby problematisch, weil

  • die Plazenta unzureichend durchblutet wird. Es besteht die Gefahr, ein Frühchen zur Welt zu bringen.
  • das Baby auf den Diabetes Typ 4 der Mutter mit einer höheren Produktion von Insulin reagiert. Daraufhin wird Zucker als Fett in dessen Körper eingelagert und es nimmt mehr an Körpergewicht zu, als normal.
  • eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Kaiserschnitts oder Geburt mit der Saugglocke aufgrund des erhöhten kindlichen Körpergewichts besteht.
  • die Zellen der kindlichen Bauchspeicheldrüse, die für die Insulinproduktion zuständig sind, durch die Überproduktion dauerhaft „fehlprogrammiert“ werden können.

In der Medizin sind des Weiteren Langzeitfolgen eines Gestationsdiabetes für die Kinder bekannt: Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie, noch bevor sie 20 Jahre alt sind, an einem manifesten (deutlich erkennbaren) Diabetes mellitus Typ 2 leiden und sie generell zu Übergewicht sowie zu hohen Cholesterinwerten (Blutfett) und Bluthochdruck neigen.10

Sich bewusst ernähren und bewegen – das A und O bei der Therapie eines Diabetes Typ 4


Gute Blutzuckerwerte fußen auf zwei wesentlichen Säulen: Bewegung und gesunde, bedarfsgerechte Ernährung. Bei circa vier von fünf Frauen lassen sich erhöhte Blutzuckerwerte in den Griff bekommen, indem sie

um den Stoffwechsel in Schwung zu bringen – solange keine gesundheitlichen Gründe wie Unterleibsschmerzen oder Herz- und Gefäßerkrankungen dagegen sprechen.11 Die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt, dreimal pro Woche einen straffen halbstündigen Spaziergang einzuplanen.8 Auch Übungen mit elastischem Band eignen sich bei Gestationsdiabetes.

Greifen Sie in Sachen Ernährung bevorzugt zu Lebensmitteln, die langsam verdauliche Kohlenhydrate enthalten, wie sie beispielsweise in Vollkornprodukten, Kartoffeln und Hülsenfrüchten zu finden sind. Auch Obst und Gemüse gehören auf den Speiseplan.

Selbst wenn in der Schwangerschaft die Hormone verrücktspielen und unkontrollierte Essensgelüste sowie Heißhunger zwei überstarke Gegner zu sein scheinen, sollten werdende Mütter mit Diabetes Typ 4 dennoch mehrere kleine Mahlzeiten täglich essen, anstatt wenige große Gerichte. Bei Fragen stehen Ihnen Ihr Frauenarzt, Diätassistenten oder Diabetesberater zur Seite.

Was sonst noch auf Sie zukommt:

  • Blutzuckerselbstkontrolle mit einem Messgerät
  • führen eines Blutzucker-Tagebuchs, in dem Sie die gemessenen Werte eintragen

Insgesamt werden Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes engmaschig ärztlich betreut, sie müssen häufiger zu Vorsorgeuntersuchungen beim Frauenarzt.

Und wenn das alles nichts hilft?


Sollte die Ernährungsumstellung und der regelmäßige Sport nicht die gewünschten Ergebnisse zeigen und die Blutzuckerwerte weiterhin zu hoch sein, ist eine individuell angepasste Insulintherapie notwendig. Dies ist ebenfalls der Fall, wenn der Frauenarzt beim Ultraschall feststellt, dass das Kind zu groß ist. Die Schwangere muss dann Insulin in das Unterhautfettgewebe spritzen.

Injektionsbereiche am Körper sind:

  • Bauch
  • Oberschenkel
  • Flanken (seitliche Bauchregion), Hüftbereich – zum Beispiel, wenn man sich dafür scheut, in den Bauch zu spritzen

In einer Schulung erklären Diabetesexperten den Betroffenen die Handhabung der Insulinspritzen beziehungsweise –pens (sieht aus wie ein Schreibstift). Zwar gibt es auch Tabletten, sogenannte orale Antidiabetika, diese sind jedoch bei Schwangerschaftsdiabetes nicht zugelassen. Abschließende Forschungsergebnisse fehlen, wie sich die Tabletten auf die werdende Mutter und das ungeborene Kind auswirken.12

Je nach Bedarf der Schwangeren gibt es verschiedene Arten des Insulins:

  • Normalinsulin: wenn der Blutzucker nach den Mahlzeiten ansteigt
  • Verzögerungsinsulin: wenn die Blutzuckerwerte bereits am Morgen in nüchternem Zustand erhöht sind

Welches verwendet wird, obliegt letztlich der Entscheidung des Arztes. Zwar reicht meist eine Insulinart aus, in manchen Fällen kommen auch beide zum Einsatz.

Schwangerschaftsdiabetes – geht das wieder weg?

Die gute Nachricht zuerst: Die erhöhten Blutzuckerwerte verschwinden in der Regel, nachdem das Baby auf der Welt ist. Nun die weniger erfreuliche: Etwa eine von zwei Frauen entwickelt innerhalb von zehn Jahren Diabetes Typ 2.13 Zudem bleiben 40 bis 50 Prozent in einer folgenden Schwangerschaft wieder nicht vom Gestationsdiabetes verschont.4

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Julia Lindert Die Ressortjournalistin Julia Lindert spezialisierte sich während ihres Studiums auf die Themenfelder Medizin und Biowissenschaften. Medizinische Sachverhalte in verständlicher Sprache zu formulieren, ist das, was sie an ihrer Arbeit besonders mag. Ihr Credo in Bezug auf Krankheitsbilder und Therapiemöglichkeiten: Nichts beschönigen, aber auch keine unnötigen Ängste schüren. Julia Lindert Medizinredakteurin kanyo® mehr erfahren
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