Reizmagen-Ursachen bei Kindern: Warum die Diagnose so schwierig ist


Wer an funktioneller Dyspepsie leidet, muss vor der Diagnosestellung meist eine nervenaufreibende Serie von medizinischen Untersuchungen hinter sich bringen. Der Grund ist, dass sich die Ursachen für einen Reizmagen nicht mithilfe der gängigen Untersuchungsmethoden (beispielsweise Analyse einer Blut- oder Stuhlprobe) erfassen lassen.

Bei Kindern ist die Situation noch schwieriger, da es ihnen oft schwer fällt, ihre Beschwerden in Worte zu fassen. Die Diagnose erfolgt deshalb meist durch das Ausschlussprinzip, bei dem andere infrage kommende Erkrankungen nach und nach von der Liste der Möglichkeiten gestrichen werden.

Eine weitere große Schwierigkeit besteht darin, dass die Mechanismen, die der Erkrankung zugrunde liegen, noch immer unzureichend erforscht sind. Mediziner vermuten nach derzeitigem Kenntnisstand jedoch eine Wechselwirkung verschiedener Faktoren, darunter beispielsweise eine veränderte Muskeltätigkeit im Magen, ein überempfindliches Nervensystem im Bereich des Magen-Darm-Traktes sowie einen Einfluss der Psyche.

Die Anzahl der Studien, die sich mit den Ursachen von Reizmagen speziell bei Kindern beschäftigen, ist bisher besonders klein. Experten gehen jedoch davon aus, dass sich die Ergebnisse, die bei Untersuchungen an erwachsenen Patienten gewonnen wurden, auch auf Kinder übertragen lassen.

Motilitätsstörungen – wenn die Verdauung still steht


Als eine der wichtigsten Ursachen für Reizmagen bei Kindern wie Erwachsenen gelten sogenannte Motilitätsstörungen. Das Wort Motilität bedeutet Beweglichkeit und beschreibt in diesem Zusammenhang die durch Muskulatur erzeugte Magenbewegung, die der Durchmischung sowie dem Weitertransport des Nahrungsbreis dient. Ist die Motilität gestört, beispielsweise durch verminderte Muskeltätigkeit oder die Verkrampfung der Muskulatur, gehört zu den möglichen Folgen eine

  • verzögerte Magenentleerung,
  • beschleunigte Magenentleerung oder
  • unzureichende Anpassung des Magenvolumens an die Mahlzeit (gastrale Relaxation).

Jede der genannten Auswirkungen konnte bei Kindern mit Reizmagen nachgewiesen werden und gilt als mögliche Ursache für die damit verbundenen Beschwerden wie frühzeitiges Sättigungsgefühl, Magendruck und Schmerzen im Oberbauch. Warum es bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie zu Motilitätsstörungen kommt, ist noch unklar. Möglicherweise spielen genetische Faktoren eine Rolle.

Reizmagen bei Kindern: Überempfindliche Nerven sind oft die Ursache


Eine weitere mögliche Ursache für den Reizmagen bei Kindern und Erwachsenen ist die sogenannte intestinale Hypersensitivität. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine besondere Empfindlichkeit des Magen-Darm-Systems für verschiedene Reize (beispielsweise Dehnungsdruck oder Säuregehalt im Magen) und dadurch gegenüber der Wahrnehmung von Schmerzen. Warum das so ist, ist noch nicht hinreichend geklärt.

Aktuelle Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass Patienten mit dem Reizmagensyndrom Veränderungen der folgenden Körperstrukturen und Faktoren aufweisen:

  • Enterisches Nervensystem (Eingeweidenervensystem): Das neuronale Netzwerk im Bereich des Verdauungstraktes stellt die größte Ansammlung von Nervenzellen außerhalb des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) dar. Bei Reizmagen Patienten scheint die Anzahl der Nervenzellen, die der Versorgung der Magen-Darm-Schleimhaut dienen, erhöht zu sein. Dadurch wird das enterische Nervensystem sensibler für die Aufnahme und Weiterleitung von Reizen aus dem Verdauungsapparat.
  • Neurotransmitter (Botenstoffe): Neurotransmitter sind Stoffe, die der Informationsübertragung von einer Nervenzelle auf die andere oder auch von einer Nervenzelle auf eine Muskelzelle dienen. Zu den wichtigsten Botenstoffen innerhalb dieser Gruppe zählt Serotonin, das in besonders großen Mengen im Verdauungstrakt vorkommt.
  • Entzündungsstoffe: Die Nervenzellen des enterischen Nervensystems können auch durch bestimmte Entzündungsstoffe stimuliert werden, deren Produktion bei Menschen mit funktioneller Dyspepsie verändert ist. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Reizwahrnehmung im Magen-Darm-Trakt.

Schließlich gibt es auch Hinweise darauf, dass im Gehirn von Patienten mit funktionellen Verdauungsbeschwerden, wie der Dyspepsie oder dem Reizdarm, – im Gegensatz zu gesunden Menschen – größere Bereiche aktiv sind, wenn das Eingeweidenervensystem gereizt wird.

Interessant:
Entgegen den Erwartungen ist bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie die Schmerzschwelle nicht generell erniedrigt. Im Gegenteil: Die Betroffenen können Schmerzreize an Körperstellen außerhalb des Verdauungstraktes oft sogar leichter ertragen als gesunde Vergleichspersonen.

Entzündungen als mögliche Ursache für Reizmagen bei Kindern


Eines der charakteristischsten Symptome des Reizmagens sind Schmerzen im Oberbauch. Diese unangenehme Sinneswahrnehmung ist ein Warnsignal des Körpers, das dazu dient, eine potenzielle Gefahr (beispielsweise durch eine Erkrankung) rechtzeitig zu erkennen und eine Schädigung des Körpers abzuwenden. Wenn keine Verletzung vorliegt, sind neben Nervenstörungen vor allem Entzündungen im Körperinneren für Schmerzen verantwortlich.

Medizinische Untersuchungen von Kindern mit Reizmagen lassen keine offensichtlichen Entzündungsherde als Ursache für die Beschwerden erkennen. Dennoch gehen einige Experten davon aus, dass im Magen-Darm-Trakt von Betroffenen minimale, durch gängige Methoden kaum nachweisbare Entzündungen vorliegen, die für die Bauchschmerzen sorgen. Woran das liegen könnte, ist allerdings ebenfalls noch unklar.

Helicobacter pylori: Eine Ursache für Reizmagen bei Kindern?


Funktionelle Dyspepsie hat hinsichtlich der Symptomatik starke Ähnlichkeit mit dem Magengeschwür (Ulcus ventriculi). In beiden Fällen klagen die Betroffenen unter anderem über

  • Schmerzen im Oberbauch,
  • Magendrücken oder Völlegefühl,
  • gelegentliche Übelkeit und Erbrechen,
  • Aufstoßen sowie
  • Appetitlosigkeit.

Der Gedanke, dass beide Erkrankungen auch ursächliche Gemeinsamkeiten haben könnten, liegt deshalb nahe. Magengeschwüre sind die Folge einer nicht ausgeheilten Magenschleimhautentzündung, die in der Regel auf ein Missverhältnis aus Magensäure und schützendem Magenschleim zurückzuführen ist.

Zu den wichtigsten Auslösern für dieses Ungleichgewicht zählt die Infektion mit dem Bakterium Helicobacter pylori aufgrund seiner Fähigkeit zur Anregung der Säureproduktion. Experten stellten sich deshalb die Frage, inwiefern dieses Bakterium, das etwa die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung in sich trägt, eine Ursache für den Reizmagen bei Erwachsenen sowie Kindern sei.1

Mittlerweile ist allerdings bekannt, dass die Säureproduktion bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie nicht verändert ist.2 Die Krankheitsentstehung unterscheidet sich demnach von der des Magengeschwürs.

Und auch sonst wurden bisher keine eindeutigen Beweise für den Zusammenhang zwischen der Infektion mit Helicobacter pylori und funktioneller Dyspepsie gefunden – ein klarer Gegenbeweis fehlt allerdings bislang ebenfalls. Somit ist die Rolle des Bakteriums für die Entstehung von Reizmagen derzeit noch nicht abschließend geklärt.

Wenn die Psyche auf den Magen schlägt


Zu den möglichen Auslösern der Beschwerden bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie gehört vor allem psychischer Stress. Der Grund: Unsere Verdauung ist sehr eng mit dem Nervensystem und dadurch auch mit unserer Psyche verknüpft. So befindet sich im Bereich von Magen und Darm ein sehr dichtes Geflecht aus Nervenzellen, das über den sogenannten Vagusnerv (Eingeweidenerv) mit dem Gehirn verbunden ist.

Dabei schlägt psychische Belastung nicht nur den Erwachsenen auf den Magen – auch bei Kindern und Jugendlichen können Konflikte in der Familie oder Schulstress als mögliche Ursache für den Reizmagen angesehen werden.

Gibt es ein Bauchhirn?
Das Netzwerk aus Nerven, das für die Steuerung unserer Verdauung verantwortlich ist (enterisches Nervensystem) wird im Volksmund häufig auch als „Bauchhirn“ bezeichnet. Tatsächlich ist dieser Beiname nicht all zu abwegig, denn das enterische Nervensystem benötigt für einen Großteil seiner Aufgaben keine direkten Befehle vom Gehirn – es arbeitet also nahezu unabhängig. Auch die Botenstoffe und die Signalwege, die der Übermittlung von Nervenimpulsen dienen, entsprechen denen, die im Kopf wirken.

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