Wenn aus dem Baby-Blues eine Wochenbettdepression wird


Eigentlich sollte man sich in der ersten Zeit zuhause von den Anstrengungen der Geburt erholen. Doch ein neugeborenes Baby fordert ab der ersten Minute die ganze Aufmerksamkeit der Eltern. Alles andere tritt in den Hintergrund. Allerdings: Die Glücksgefühle nach der Geburt weichen bei jeder zweiten Frau einer Phase, in der sie viel weint, traurig, müde und reizbar ist oder sich innerlich unruhig fühlt. Aufgrund der neuen Lebenssituation ist ein Wechselbad der Gefühle im Wochenbett, auch beschrieben mit dem Begriff Baby-Blues, normal und mehr als nachvollziehbar. Das Stimmungstief entwickelt sich in der Regel zwischen dem zweiten und dritten Tag nach der Geburt des Kindes und hält meist nicht länger als zwei Wochen an.2

Der Baby-Blues ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Wochenbettdepression, auch postpartale Depression (PPD) oder Kindbettdepression genannt – selbst wenn der Übergang in diese häufig fließend ist.

Diese ernstzunehmende Erkrankung

  • tritt für gewöhnlich sechs bis zwölf Wochen nach der Geburt auf,1
  • kann sich aber noch in den ersten beiden Jahren nach der Entbindung ausbilden,3
  • hat einen akuten oder schleichenden Verlauf und
  • betrifft 10 bis 15 Prozent aller Mütter.4

Die Dunkelziffer ist jedoch hoch: Viele Frauen erzählen erst, dass es ihnen psychisch nicht gut geht, wenn andere sie gezielt darauf ansprechen, beispielsweise bei der gynäkologischen Nachuntersuchung ein paar Wochen nach der Geburt.

Kann es jede Mutter treffen?

Generell ja. Gehäuft tritt eine postpartale Depression jedoch beispielsweise nach einer komplikationsreichen Schwangerschaft und/oder Entbindung auf. Zu den Risikogruppen gehören auch Frauen, die ihr erstes Kind erwarten, die bereits vor der Schwangerschaft psychisch erkrankt oder die sozialen Belastungen wie Konflikten mit dem Partner ausgesetzt sind.

Symptome einer Kindbettdepression


Aus Angst, als Mutter zu versagen, oder weil sie sich mit dem riesigen Berg an Verantwortung und Aufgaben allein gelassen und überfordert fühlen, verschweigen viele Frauen ihren Gefühlszustand, was die Diagnose und die frühzeitige Behandlung einer Kindbettdepression erschwert.

Anzeichen, die typisch sind für eine Kindbettdepression sind unter anderem:

  • Antriebslosigkeit
  • Kopfschmerzen
  • Gefühl innerer Leere
  • Angstzustände
  • Gereiztheit gegenüber dem Kind
  • Schlafstörungen
  • Schuldgefühle
  • kein Interesse am Baby (zwar wird es mechanisch wie ein Gegenstand/eine Puppe versorgt, aber ohne emotionale Nähe)
  • in schweren Fällen Zwangsgedanken (beispielsweise dem Baby schaden zu wollen)

Wichtig ist, die Kindbettdepression von der selteneren postpartalen Psychose (PPP) abzutrennen, die einhergehen kann mit Halluzinationen, Stupor (körperliche und seelische Erstarrung) oder Schuld-/Versündigungswahn. Bei Letzterem haben Betroffene das Gefühl, große Schuld auf sich geladen zu haben, weshalb sie der Auffassung sind, bestraft werden zu müssen.

Was von all dem bekommt das Baby mit?


Leidet die Mutter an einer Wochenbettdepression, besteht die Gefahr, dass die Mutter-Kind-Bindung beeinträchtigt wird. Zwar wirken Babys in den Wochen nach der Geburt so, als würden sie noch nicht viel von dem verstehen, was um sie herum abläuft. Doch Kinder sind bereits in den ersten Lebensmonaten äußerst sensibel und merken, wenn sich die Mutter ihnen gegenüber zurückhaltend verhält, sie wenig berührt und mit ihnen spricht. Sie reagieren mit Schlaf- und Stillproblemen, weinen häufig, schreien übermäßig und vermeiden selbst den Blickkontakt zur Mutter. Ist die Wochenbettdepression von schwerem Verlauf, zeigen die Kinder häufig auch kognitive – also das Wahrnehmen, Denken und Erkennen betreffende – Entwicklungsverzögerungen. Diese in ihrer Bandbreite nur angerissenen Auswirkungen auf das Kind zeigen die Relevanz sowie die Tragweite des Spruchs „Wer schnell hilft, hilft doppelt.“5

Professionelle Hilfe suchen

Sie müssen nicht allein durch das Tal der Trauer und Leere. Holen Sie sich Unterstützung – bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Dieser leitet eine zielgerichtete Therapie in die Wege. Beziehen Sie bei diesem Schritt auch Ihren Partner mit ein.

Behandlung einer Wochenbettdepression: Abhängig vom Schweregrad


Während bei leichten oder mittleren Beschwerden der Fokus auf der Psychotherapie liegt, wird bei starken Symptomen zu einer Kombination aus Psychotherapie und medikamentöser Behandlung geraten.

Medikamentöse Therapie

Bei einer von Antriebslosigkeit gekennzeichneten postpartalen Depression kommen Antidepressiva zum Einsatz, die stimulierend wirken, wie Imipramin. Ist die Frau hingegen eher ängstlich und angespannt, verschreibt der Facharzt Arzneimittel mit angstlösenden Eigenschaften, beispielsweise Amitriptylin oder Opipramol.

Gut zu wissen

Stillt die Mutter, ist zu beachten, dass Antidepressiva in die Muttermilch übergehen. Daher sind nicht alle Wirkstoffe geeignet. Ihr behandelnder Arzt berät Sie entsprechend.

Litt die Frau bei vorangegangenen Geburten bereits unter einer Wochenbettdepression und ist dies bekannt, zieht der Arzt eine Progesteron-Prophylaxe in Erwägung. Hierbei erhält die Frau nach der Entbindung vorbeugend das Schwangerschaftshormon Progesteron, denn: Geht es um die Auslöser der Erkrankung, wird der rasante Abfall an Schwangerschaftshormonen nach der Entbindung diskutiert – wenn auch kontrovers.

Psychotherapie

In Gesprächen erarbeitet der Therapeut zusammen mit der Frau, warum es zur Kindbettdepression gekommen ist. Sie entwickeln Strategien, die die Betroffene anwenden kann, wenn negative Gedanken wieder aufkommen. Das Thema „Identifikation mit der Mutterrolle“ gehört ebenso zur Psychotherapie wie das Bestreben, eine gute Mutter-Kind-Beziehung aufzubauen. Positive Ergebnisse lassen sich erzielen, wenn auch das Kind in die Therapie mit einbezogen wird. Beispielsweise lernt die Mutter dabei Handgriffe zur Babymassage. Übrigens: Es gibt Kliniken, die sogenannte „Mutter-Kind-Einheiten“ anbieten, in denen Fachpersonal Mütter mit ihren Kindern stationär betreut.

Weitere Hilfemaßnahmen

Eine weitere Säule auf dem Weg raus aus der Kindbettdepression bilden Angebote, die den Betroffenen zeigen, dass ihnen jemand zuhört und hilft.

Dies kann sein in Form

  • der Entlastung, beispielsweise durch eine Haushaltshilfe,
  • einer sozialpädagogischen Familienhilfe,
  • von Unterstützung im privaten Umfeld, zum Beispiel durch den Partner, Familienangehörige, Hebamme, oder
  • von Gesprächskreisen und Selbsthilfegruppen, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.

Darüber hinaus ist die Studienlage aktuell noch zu dünn, um sagen zu können, ob körperliche Aktivität, Massagen, Akupunktur und Lichttherapie ebenfalls bei postpartaler Depression helfen.6

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Julia Lindert Die Ressortjournalistin Julia Lindert spezialisierte sich während ihres Studiums auf die Themenfelder Medizin und Biowissenschaften. Medizinische Sachverhalte in verständlicher Sprache zu formulieren, ist das, was sie an ihrer Arbeit besonders mag. Ihr Credo in Bezug auf Krankheitsbilder und Therapiemöglichkeiten: Nichts beschönigen, aber auch keine unnötigen Ängste schüren. Julia Lindert Medizinredakteurin kanyo® mehr erfahren
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