Nicht immer eine „Laune“ der Natur – die Mehrlingsschwangerschaft


Wie oft kommt eine Zwillings- oder gar Drillingsschwangerschaft eigentlich vor? Zur Beantwortung dieser Frage wird auch heute noch die bereits im 19. Jahrhundert aufgestellte Hellin-Regel herangezogen: Die Wahrscheinlichkeit, mit Zwillingen schwanger zu sein, liegt bei 1:85. Drillinge sind mit 1: ca. 7.000 noch seltener.1 In der Schätzung berücksichtigt sind Mehrlingsschwangerschaften, die auf natürlichem Weg zustande kamen.

Dass immer häufiger Mehrlinge geboren werden, ist nicht zuletzt auf die Fortschritte in der Reproduktionsmedizin bei unerfülltem Kinderwunsch zurückzuführen.

Warum Schätzung?

Nicht alle Mehrlingsschwangerschaften enden in einer Mehrlingsgeburt, es kann zu Frühaborten (Fehlgeburt bis zur 13. Schwangerschaftswoche2) kommen, beziehungsweise dem Absterben der Fruchtanlage.

Es sind Zwillinge! Diese Komplikationen gibt es


Da Zwillings- oder gar Drillingsschwangerschaften mit einem größeren gesundheitlichen Risiko verbunden sind, stufen sie Mediziner automatisch als Risikoschwangerschaften ein, was eine besonders engmaschige ärztliche Kontrolle zur Folge hat. Sowohl für die Mutter als auch die Kinder ist eine Mehrlingsschwangerschaft mit möglichen Komplikationen verbunden, beispielsweise:

  • Bluthochdruck, erhöhte Eiweißausscheidung im Urin sowie Schwellungen (Präeklampsie)
  • Schwangerschaftsdiabetes
  • Blutungen
  • vorzeitiger Blasensprung
  • Frühgeburtlichkeit
  • verringertes Wachstum, bezogen auf Gewicht und Größe (intrauterine Wachstumsrestriktion)
  • eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Plazenta, Minderversorgung der Babys mit Nährstoffen und Sauerstoff (Plazentainsuffizienz)

Zu den ernstzunehmenden Komplikationen gehört darüber hinaus das fetofetale Transfusionssyndrom. Dieses tritt in 10 bis 15 Prozent der eineiigen Zwillingsschwangerschaften auf3. Beim FFT besteht aufgrund abnormer Gefäßverbindungen in der gemeinsamen Plazenta ein Ungleichgewicht: Während eines der Babys, der sogenannte Spender, zu viel Blut abgibt, nimmt das andere Baby, der Empfänger, dieses Mehr an Blut auf. Eine der zahlreichen Folgen: Ein Ungeborenes leidet an Blutarmut und wird unterversorgt, das andere an einer Kreislaufüberlastung, was in einem Herzversagen enden kann. Eine Behandlung ist somit unbedingt notwendig. Bei einer Lasertherapie verödet der Operateur die Blutgefäße, die sich beide Babys teilen. In 60 Prozent der Fälle überleben beide Kinder.4

Die Liste der möglichen Risiken ist bei Mehrlingsschwangerschaften sehr lang. Um Auffälligkeiten möglichst schnell zu entdecken und ihnen gegenzusteuern, ist es umso wichtiger, regelmäßig – und auch in kürzeren Abständen als bei einer Einlingsschwangerschaft – zu den Vorsorgeuntersuchungen zu gehen.

Doppelte körperliche Beanspruchung

Werdende Mamas von Mehrlingen haben öfter mit Schwangerschaftsbeschwerden wie Übelkeit, Krampfadern, Rückenschmerzen oder Wassereinlagerungen zu kämpfen.

Muss ich meine Kinder per Kaiserschnitt zur Welt bringen?


Zwillinge vaginal zu entbinden, ist generell möglich. Die Entscheidung hängt von verschiedenen Faktoren ab, beispielsweise ob es der Mutter gesundheitlich gut geht, wie alt sie ist und ob die Kinder in einer guten Geburtsposition liegen. Meist wird die Geburt bei Zwillingen spätestens in der 38. Schwangerschaftswoche eingeleitet oder ein geplanter Kaiserschnitt durchgeführt, bei Drillingen bereits in der 36. Schwangerschaftswoche, um eine Plazentainsuffizienz zu vermeiden.5 Stellen die Ärzte jedoch fest, dass eines oder beide Babys eine auffällige Wachstumsverzögerung haben, wird versucht, die Kinder zumindest bis zur 34. Schwangerschaftswoche im Bauch zu lassen. Verschlechtert sich der Zustand, verabreichen die Fachärzte Medikamente, um die Reifung der Lungen zu beschleunigen, bevor sie die Kinder per Kaiserschnitt entbinden. Bei einer Drillingsschwangerschaft und höhergradigen Mehrlingen findet normalerweise immer ein Kaiserschnitt statt.6

Bewusst durch die Zwillingsschwangerschaft


Mit Mehrlingen schwanger zu sein, verlangt der werdenden Mama einiges ab. Vor allem im letzten Drittel der Schwangerschaft wird es aufgrund des zunehmenden Gewichts der Kinder beschwerlich. Daher gilt: Hören Sie auf Ihren (Zwillings-)Bauch und gönnen Sie sich regelmäßige Auszeiten und Momente der Ruhe. Suchen Sie sich Unterstützung, beispielsweise eine Haushaltshilfe, wenn der Bauch ab einem gewissen Umfang beim Spülmaschine ausräumen und putzen überall „aneckt“.

Arbeiten Sie in der Schwangerschaft, gilt in Hinblick auf den Beginn des Mutterschutzes das Gleiche wie für Frauen, die mit einem Baby schwanger sind. Das heißt, auch in der Zwillingsschwangerschaft startet dieser mit der vollendeten 34. Schwangerschaftswoche. Doch auch hier der Ratschlag: Hören Sie in sich hinein. Ihre und die Gesundheit der Kinder geht vor. Ärzte – nicht nur Gynäkologen, sondern beispielsweise auch Neurologen oder Orthopäden – können ein ärztliches Beschäftigungsverbot erteilen. Nach der Geburt verlängert sich bei einer Mehrlingsgeburt die Schutzfrist von acht auf zwölf Wochen.8

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Julia Lindert Die Ressortjournalistin Julia Lindert spezialisierte sich während ihres Studiums auf die Themenfelder Medizin und Biowissenschaften. Medizinische Sachverhalte in verständlicher Sprache zu formulieren, ist das, was sie an ihrer Arbeit besonders mag. Ihr Credo in Bezug auf Krankheitsbilder und Therapiemöglichkeiten: Nichts beschönigen, aber auch keine unnötigen Ängste schüren. Julia Lindert Medizinredakteurin kanyo® mehr erfahren
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